Regine Spangenthal

Sichtverhältnisse/ Condiciones de visibilidad

zwölf Positionen zeitgenössischer Malerei aus Madrid und Berlin 1998/99

Von Doris Erbacher

Zwischen zwei Bildern

Regine Spangenthal sucht nach dem Ort, der zwischen zwei Bildern liegt, dem Ort der Bewegung. Von dort kommen die Arbeiten der Malerin. Von der fotografischen Vorlage tastet sie sich voran zum gemalten Bild, ertastet Möglichkeiten der Malerei. Ihre Arbeiten sind Momentaufnahmen unter der Zeitlupe, angehaltene Zeit. Stille Stände im Fortlaufenden, unterbrochenes Erzählen. Zeitgewinn vielleicht. Das eine Bild gibt es für Regine Spangenthal nicht. Und so auch nicht die eine ausschließliche Form. Nicht den einen fruchtbaren Moment. Erkenntnisse sind bei ihr an Brüche gebunden, an Teilungen, an Unterteilungen. Schemata der Wahrnehmung, Begriffe werden außer Kraft gesetzt. Der Betrachter ihrer Bilder findet sie und sich im Selbstgespräch wieder.

Ihre Ausschnitte setzen ein Ganzes voraus, das es einmal gab oder einmal geben könnte. Je nachdem, von wo aus man ihre Bilder betrachtet. Im Augenblick ist dieses Ganze aber nicht zu haben: man kann darin Freiheit oder Begrenzung sehen. Ihre Bilder sind nicht greifbar. Sehr fern, sehr nah. Studien der Wahrnehmung, der Selbstwahrnehmung. Selbstbespiegelung im Anderen. Paradoxien der Wahrnehmung. Abgemalt! lautete in der Kindheit das Schimpfwort für: nicht gekonnt, nichts Eigenes hervorgebracht, sozusagen von Anderen, vom Anderen gestohlen. Aber es gibt ein Abmalen, das einen ganz anderen Farbton hat – wie: vom Leben abgenommen – wie: von Überflüssigem absehen – wie: den Schein abtragen. Mit unscheinbaren Farben, mit unwahrscheinlichen Farben, rebellisch dissonant, so malt Regine Spangenthal. Sichtbar wird so, was zwischen dem Anfang und dem Ende liegt, was möglicherweise sogar weder einen Anfang noch ein Ende hat: die Wirklichkeit, das Reale. Das Reale ist ja nur das Mögliche, jedenfalls bei Regine Spangenthal. Das Reale ist bei ihr das abgetragene Bild, die aufgetragene Farbe, der Pinselstrich, das Farbfeld: die Welt zwischen zwei Bildern.